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Artikel basierend auf aktuellen Studienergebnissen zu den Themen Psyche · Ernährung · Psychoneuroimmunologie 

· Lifestyle-Interventionen

Mag. Sabrina Hinterdorfer

Fokus Autismus-Spektrum-Störung: eine biologische, umweltbedingte sowie ernährungsmedizinische Sicht




Die Autismus-Spektrum-Störung wurde erstmals 1943 beschrieben und wird bis dato aufgrund von normabweichenden Verhaltensweisen diagnostiziert. Folgendes Verhalten gilt laut dem Diagnosemanual ICD-11 als defizitär:


  • Anbahnung sowie Aufrechterhaltung sozialer Kontakte (eingeschränktes Interesse Dritter, inadäquate Kommunikations- sowie Reaktionsweise, Deutung von Sprache sowie Emotion erschwert)

  • Wiederholung von stereotypischen Verhaltensweisen, die sich sowohl unflexibel als auch unangemessen präsentieren

  • Beschäftigung mit spezifischen Interessensfeldern, Gegenständen oder Reizen

  • andauernde Über- oder Unterempfindlichkeit gegenüber bestimmter Reize


Bisher wurde bei der ASS tendenziell auf den Faktor Psyche forciert. Die betroffenen Personen müssen sich unter anderem einem Intelligenztest, Autismus-spezifischen Testverfahren sowie neuropsychologischen Untersuchungsverfahren unterziehen, damit Rückschlüsse auf die Anpassungsfähigkeit des Verhaltens sowie auf den Entwicklungsstand geschlossen werden können.


Prägung des Begriffs „Autismus-Pandemie“

 

Seit einigen Jahren wurde die Bezeichnung Autismus-Pandemie geprägt, die darauf hinweisen möchte, dass die Zahl der an ASS-Erkrankten seit 1970 rapide gestiegen ist. War es im Jahr 1970 nur 1 erkrankte Person von 10.000, so waren es 2000 1 von 150, im Jahr 2015 sogar 1 von 54.

 

Wie sind nun diese Zahlen zu interpretieren?


Problematisch können Rückschlüsse zu Erkrankungen werden, die sich eher auf einseitige Faktoren beziehen und keine multifaktoriellen Kausalitäten berücksichtigen. Bei einer ASS gilt es, besonders die biologischen sowie die umweltbedingten Faktoren miteinzubeziehen, damit nicht nur von Symptomen sondern von möglichen Ursachen gesprochen werden kann.


Welche möglichen Rückschlüsse können nun aber auf biologischer Ebene gezogen werden?


2009 wurde erstmals die Bezeichnung ASS als Autoimmunerkrankung aufgebracht, deren Grundlage biologisch als auch umweltbedingt betrachtet wird.Basierend auf dieser Grundlage wird davon ausgegangen, dass sowohl genetische Faktoren, Umweltfaktoren (Metalle, Umweltverschmutzung), Mikronährstoffmängel, diverse chemische Produkte, mikrobiologische Erreger, ungünstige perinatale Bedingungen, medizinische Eingriffe vor/während der Geburt sowie Medikation die Wahrscheinlichkeit erhöhen können, mit einer ASS diagnostiziert zu werden.

 

Mythos Genetik


Auch besteht der Mythos, dass es sich bei der ASS um eine rein genetische Erkrankung handle. 2011belegten Hallmayer et al. in Rahmen einer Studie mit 192 Zwillingspaaren, dass Autismus keine rein genetische Erkrankung darstellt, da sie die Anfälligkeit für ASS als eine moderate genetische Vererbbarkeit beschrieben, die 3 Jahre später in Rahmen der Studie von Sandin et al. mit einer 50-prozentigen Erblichkeitswahrscheinlichkeit bestätigt wurde. Auch liegt die Wahrscheinlichkeit bei zweieiigen Zwillingen bei lediglich 10 Prozent, dass der Zwillinge Autismus bekommt.Wird die ASS als reine genetische Erkrankung betrachtet, muss klar sein, dass hier die Interventionsmöglichkeiten vor, während und nach der Schwangerschaft als niedrig angesehen werden. Aufgrund diverser Studien, die im nachfolgenden zur Rate gezogen werden, werden zum einen mögliche ursächliche Faktoren als auch bestimmte Interventionsstrategien verdeutlicht:

 

Problematische Ernährungsweise in der westlichen Welt

Im Zuge der Steinzeiternährung ernährte man sich hauptsächlich von "guten" Fetten, einem gemäßigten Anteil an Proteinen und kaum Kohlenhydraten. Der heutige Ernährungsstil kann durchaus als bedenkenswert beschrieben werden: es werden zum Großteil Kohlenhydrate konsumiert, kaum Eiweiß sowie kaum gesunde Fette. Die derzeitige Ernährung kann als pro-inflammatorisch (pro-entzündlich) beschrieben werden. Besonders wird bei ASS darauf hingewiesen, dass eine ketogene Ernährungsweise (Fokus auf gute Fette, ausreichend Protein sowie kaum Kohlenhydrate) anzustreben ist.

 

Das Volksleiden low-grade-inflammation

Niedriggradige subklinische Entzündungen werden zunehmend öfter beobachtet. In Zusammenhang mit dem westlichen Lebensstil wird eine pro-entzündliche Ernährungsweise, ein allgemeiner Bewegungsmangel, regelmäßige Einnahme von Medikation, Konsum von Alkohol, Drogen und Nikotin sichtbar, der im ersten Schritt eine low-grade-inflammation begünstig und langfristig zur Entstehung diverser Krankheiten beitragen kann.

 

Stark unterschätzter Faktor Vitamin D3

Der Mensch hat rund 24.000 Gene, davon werden 2840 von Vitamin D3 reguliert (zirka 12 Prozent unserer Gene!). Vitamin D beeinflusst bereits sehr früh in der Schwangerschaft die Plazenta. Wird nun die Plazenta nicht ausreichend geschützt (u.a. durch sogenannte Cathelicidine und Beta-Defensine, die durch den Faktor Vitamin D3 gegeben sind), kann der Fötus nachhaltig negativ beeinflusst werden (u.a. leiden die Nervenzellen darunter).

 

Omega-3-Fettsäuren

Der Faktor, dass die beiden Fettsäuren DHA und EPA eine gesundheitsfördernde Wirkung auf den Menschen haben, ist bereits bekannt. Die Studie von XX aus dem Jahr 2003 zeigt, dass eine Supplementierung von 2g EHA/DPA während der Schwangerschaft die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das Kind einen zwischen 4-7 Punkten höheren IQ haben wird. Werden die Fettsäuren während der Schwangerschaft konsumiert, so wird ein möglicher Ausbruch von Autismus deutlich erschwert.

 

Stress ist nicht gleich Stress

Würde Stress in seiner altbekannten Definition – also rein psychischer sowohl physischer Stress – verstanden werden, würde man der heutigen Ansicht nicht gerecht werden. Unser Körper kann ebenso "gestresst" unter folgenden Faktoren reagieren: Mikronährstoffmängel, Entzündungen, Schlafenzug, Elektrosmog, oxidativer Stress, Sport, Metallbelastung, Unverträglichkeiten, Überlastung des Immunsystems etc.


Schwangere benötigen ausreichend Folat, um mögliche Missbildungen des Fötus vermeiden zu können

Die Problematik besteht zum einem häufig darin, dass ein Folatdefizit besteht, aber auch, dass die eingenommene Folsäure nicht adäquat in Folat umgewandelt werden kann (hier wird das Enzym MTHFR benötigt). Studien empfehlen hier eine Supplementierung mit Methylfolat.


Reparatur von "kranken" bzw. beschädigten Gene der Mutter

Beschädigte Gene können vielfältige Ursachen haben, unter anderen sogenannte low-grade-Entzündungen (chronische subklinische Entzündungen). Supplementiert die schwangere Frau mit ausreichend Methylfolat + Methylcobalamin können jene Gene eher kurieren.


Schilddrüsenstatus von Schwangeren

Da Schilddrüsenhormone eine enorme Beeinflussbarkeit bezüglich der Entstehung sowie Wanderung von Nervenzellen des Fötus aufweisen, wird auf eine pränatale Abklärung dringend hingewiesen.


Niedriges Zinkniveau bei Kindern mit ASS gefunden

Zink ist an mannigfaltigen Aktivitäten im Körper beteiligt und sorgt für eine reibungslose Funktion des Immunsystems, der Wundheilung sowie der Wahrnehmung von Geruch und Geschmack. Ist ein Zinkdefizit vorhanden, kann es zu einer Wachstumsverzögerung, Apathie, Müdigkeit, Depression, Amnesie, Appetitlosigkeit, Akne, brüchige Nägel sowie zu einer Nahrungsselektion kommen. Letzteres Phänomen wird oft bei ASS-Betroffenen gesichtet.


Faktor Östrogen und Autismus

In Rahmen einer im Jahr 2019 veröffentlichten Studie wurde Östrogen in Zusammenhang mit Autismus gebracht. Je mehr Östrogen bei der Mutter während der Schwangerschaft vorhanden ist, desto anders werden sich die Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen des Embryos präsentieren. Bei vielen Frauen kann heutzutage von einer sogenannten Östrogendominanz gesprochen werden, diese entsteht u.a. durch einen hohen Konsum von Sojaprodukten oder durch Verwendung von Sonnenmilchprodukten, die eine östrogen-ähnliche Aktivität auslösen.

 

Life-style-Interventionen basierend auf aktuellen Studien


Je nach Schweregrad der ASS können die nachfolgenden Empfehlungen der Datenlage zur Optimierung der Lebensqualität der Betroffenen beitragen. Hier ist ausdrücklich zu erwähnen, dass dies kein „Heilungsansatz“ darstellen soll, sondern vielmehr auf eine Verbesserung der Lebensumstände abzielen möchte. Besonders vor der Einnahme diverse Supplemente sollte ein Arzt zur Rate gezogen werden.

 

  • Pro-entzündliche Lebensmittel vermeiden (u.a. Getreide, Kuhmilchprodukte, Hülsenfrüchte, Fructose, Zucker, verarbeitete Lebensmittel), evtl. ketogene Ernährung

  • Supplementierung von Vitamin D3, Zink, Selen, Omega-3-Fettsäuren

  • Stressreduzierung mannigfaltiger Natur

  • Einhaltung einer gewissen Schlafhygiene

  • Untersuchung des Zustands der Darmflora (möglicher Verdacht auf eine Dysbiose abklären): Einnahme von Probiotika beziehungsweise Informationseinholung bezüglich einer fäkalen Transplantation

  • regelmäßige Bewegung

 

Die in diesem Artikel beschriebenen Mechanismen, die als mögliche ursächliche Faktoren betrachtet werden, möchten nicht die Schlussfolgerung bekräftigen, dass Mütter „Schuld“ an einer möglichen ASS-Erkrankung haben. Vielmehr soll damit die Aussage bekräftigt werden, dass die ASS nicht einseitig oder gar monokausal betrachtet werden sollte, da die Einflussfaktoren sowie Entstehungsbedingungen genauso mannigfaltig wie auch komplex zu definieren sind.

 


Referenzen:

 

Baron-Cohen, S., Tsompanidis, A., Auyeung, B., Nørgaard-Pedersen, B., Hougaard, D. M., Abdallah, M., & Pohl, A. (2020). Foetal oestrogens and autism. Molecular Psychiatry25(11), 2970-2978.

 

Ganguly, A., Tamblyn, J. A., Finn-Sell, S., Chan, S. Y., Westwood, M., Gupta, J. & Hewison, M. (2018). Vitamin D, the placenta and early pregnancy: effects on trophoblast function. Journal of Endocrinology236(2), R93-R103.

 

Hallmayer, J., Cleveland, S., Torres, A., Phillips, J., Cohen, B., Torigoe, T. & Risch, N. (2011). Genetic heritability and shared environmental factors among twin pairs with autism. Archives of general psychiatry68(11), 1095-1102.

 

Helland, I. B., Smith, L., Saarem, K., Saugstad, O. D., & Drevon, C. A. (2003). Maternal supplementation with very-long-chain n-3 fatty acids during pregnancy and lactation augments children’s IQ at 4 years of age. Pediatrics111(1), e39-e44.

 

Pu, D., Shen, Y., & Wu, J. (2013). Association between MTHFR gene polymorphisms and the risk of autism Spectrum disorders: AM eta‐analysis. Autism Research6(5), 384-392.

 

Sandin, S., Lichtenstein, P., Kuja-Halkola, R., Larsson, H., Hultman, C. M., & Reichenberg, A. (2014). The familial risk of autism. Jama311(17), 1770-1777.

 

Wang, J., Huang, H., Liu, C., Zhang, Y., Wang, W., Zou, Z. & Liu, Y. (2022). Research progress on the role of vitamin D in autism spectrum disorder. Frontiers in Behavioral Neuroscience16, 859151.

 

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